Sabrina Görlitz schreibt Lebensgeschichten von Menschen auf, die im Sterben liegen. In einem Hospiz trifft sie die 87-jährigen Gisela, die ihre persönliche Geschichte für die Nachwelt erzählt.
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NewsTranskript
00:00Unterwegs zwischen Himmel und Erde. Sabrina Görlitz ist auf dem Weg zur nächsten Lebensgeschichte.
00:09Die 43-Jährige trifft Menschen kurz vor dem Tod, um noch einmal zurückzublicken.
00:17Ich treffe gleich Frau Gilwald und die durfte sehr alt werden. Das heißt, ich habe ein großes
00:23Leben vor mir von, ich glaube, 87 Jahren, wo die Kunst sein wird, dass in ungefähr einer Stunde
00:29vielleicht ein bisschen mehr aufs Wesentliche runterzubrechen.
00:33Im Hamburger Hospiz am Deich sind die beiden heute um 11 Uhr miteinander verabredet.
00:46Hallo, Frau Gilwald. Hallo, schön Sie zu sehen.
00:51Na? Wie duftet das hier? Hallo. Gisela Gilwald hat Lungenkrebs im Endstadium. Kurz vor dem Tod
01:00will sie heute noch einmal zurückblicken. Besonders gut erinnert sie sich an die Geburt
01:05ihres Sohnes, den sie an einem heißen Sommertag in dicke Decken gewickelt vom Krankenhaus nach
01:10Hause brachte. Dann hat mein Mann am Krankenhaus angerufen und gesagt, Kinder, wir haben es aus der
01:19Klinik geholt und es brüllt immer so. Was soll man denn bloß machen? Hat die Schwester am anderen
01:24Ende gesagt, wenig erwärmen. Und dann hat sie gesagt, ausziehen. In eineinhalb Stunden wandern
01:34sie durch ihr Leben. Aufgenommen wird alles auf dem Handy. Der Tod ihres Mannes Peter beschäftigt
01:40Gisela Gilwald bis heute. Manchmal rede ich mit ihm. Ja. Und meine Schwiegertochter sagt, wir sind alle
01:50verbunden. Mhm. Ja, die denkt, wir sehen uns auch alle wieder. Also das tröstet mich dann ja.
02:04Das Gesagte wird anschließend von Sabrina Görlitz verschriftlicht. Dafür bekommt sie in der Regel
02:09ein kleines Honorar. Es entsteht ein Büchlein von circa 15 Seiten, was an die Angehörigen
02:14weitergegeben werden kann. Hospizleiterin Katja Fischer unterstützt das Projekt. Die Erstellung
02:20dieses Büchleins macht notwendig, dass man sich auch mit seiner Lebenssituation, dass sich alle
02:26Beteiligten damit auseinandersetzen. Für viele ist das zunächst schmerzhaft, weil ich tue das,
02:31weil ich am Ende meines Lebens bin. Und trotzdem ist darin ja auch eine Chance, auch mit den
02:37Angehörigen ins Gespräch zu kommen. Zwei Tage später. Schwiegertochter Verena Warstadt ist heute
02:52auch im Hospiz. Sabrina Görlitz wird vorlesen, was Gisela ihr erzählt hat. Ich bin in Königsberg
03:03geboren, 1936, noch vor dem Krieg. Und diese frühkindliche Zeit, die war eigentlich schön,
03:09sowohl in Königsberg selbst und auch später in Südwest-Ostpreußen. Die beiden Frauen verbindet
03:18bis heute eins, der frühe Tod von Malte, Verenas Mann, Giselas Sohn. Ob ich Worte dafür habe, wie
03:27sich das anfühlt, wenn das eigene Kind stirbt? Ich denke, es ist ein Unterschied, ob ein Kind
03:32vielleicht durch einen Verkehrsunfall oder eine schwere Krankheit stirbt. Und gut, Drogensucht ist
03:37auch eine schwere Krankheit. Aber damit habe ich ja schon ganz lange gerechnet. Und irgendwann ist
03:42der Körper auch sicher so geschädigt von dem ganzen Mist, dass er nicht mehr kann. Gisela
03:51Gilwald hat die schönen und schwierigen Momente noch einmal durchlebt und formuliert eine klare
03:57Hoffnung. Das wäre schön, wenn Malte und Peter mich abholen und mich in Empfang nehmen.
04:05Und die, die hierbleiben, die dürfen an mich denken, wenn sie Traviata hören. Ziemlich
04:14leicht zu Anfang schon. Da können sie an mich denken.