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Transkript
00:00Musik
00:01Guten Abend, meine Damen und Herren.
00:27Das ist ein bisschen merkwürdig. Von Abgrenzung will man in Bonn nichts hören. Da redet man lieber von Innerdeutsch. Von friedlicher Koexistenz will man in Bonn auch nichts wissen, denn die Beziehungen zwischen BRD und DDR seien angeblich Beziehungen besonderer Art.
00:46Und wenn dann gar das Wort Revanchismus ertönt, dann hebt man in Bonn vollends abwehrend die Hände in die Höhe. Revanchismus, sowas gibt es bei uns nicht. Das ist eine Erfindung der DDR.
00:59In gut drei Wochen wird in München das Deutschlandtreffen der schlesischen Landsmannschaft stattfinden, ein umstrittenes Ereignis.
01:08Neben vielen anderen haben 18 Bundestagsabgeordnete und 15 Landtagsabgeordnete der Sozialdemokratischen Partei den Münchner Oberbürgermeister Vogel aufgefordert, dem Schlesiertreffen jede finanzielle und politische Unterstützung zu verweigern.
01:22Weil die Gefahr einer extrem nationalistischen Kundgebung gegeben sei. Diese scharfe, aber sicher erlaubte Kritik hat den Vorsitzenden der Landsmannschaft, den sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Hupka, veranlasst, seine eigenen Parteifreunde energisch zu rügen.
01:39Ausgerechnet, und das ist sicher nicht uninteressant, ausgerechnet im CSU-Organ Bayern-Kurier spricht Hupka von fehlender Toleranz, von einer Beschränkung der Meinungsfreiheit und vom Münchner Kesseltreiben.
01:50Und Hupka schreibt wörtlich, der Geist der Unterdrückung geht durch unser Land.
01:57Wie sind diese Auffassungen?
01:59Diese Auffassungen gehen in der Richtung, dass alles getan werden muss, um zu verhindern, dass unsere schlesische Heimat endgültig verloren geht.
02:16Sie gehen insbesondere dahin, dass wir die Möglichkeit haben müssen, gleichgültig wie die Grenzen gezogen werden, einmal nach Schlesien in unsere Heimat zurückzukehren und dort unser Eigentum, unser Grundeigentum wieder in Besitz zu nehmen.
02:38Auf ihrem traditionellen Pfingstreffen hat die Sudetendeutsche Landsmannschaft heute in Nürnberg erneut die Forderung Prax zurückgewiesen, das Münchner Abkommen von 1938 für von Anfang an ungültig zu erklären.
02:51Zugleich betonte die Landsmannschaft, dass ihr Anspruch auf das Recht auf Heimat, normale Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei nicht zu behindern brauche.
03:00Hauptredner auf dieser Veranstaltung war der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, der CSU-Bundestagsabgeordnete Becher.
03:08Mit Dank und Genugtuung, so sagte er, registriere die Landsmannschaft, dass die Bundesregierung der Prager Forderung bisher nicht nachgegeben habe.
03:15Tja, nun könnte man natürlich sagen, das ist eben der Becher von der CSU und mit seinem Dank an die Bundesregierung will Becher der Regierung Brandschiel nur eins auswischen.
03:28Man könnte auch sagen, na schön, dass da irgend so ein verrückter früherer Großgrundbesitzer aus Schlesien sein Grundeigentum wieder in Besitz nehmen will.
03:37Das ist doch irreal, das ist doch ein Gesträger, aber dass so einer den Mund aufmachen darf, das ist eben der Preis der Demokratie.
03:45Aber wenn Vogel schon nicht zum Schlesier-Treffen geht und wenn auch anderen Landsmannschaften Geld verweigert wird,
03:52dann zeigt das doch nur, dass die Bundesregierung mit dem Revanchismus nichts im Sinne hat, könnte man sagen.
03:58Nur der Hupka ist ja nun Mitglied der SPD und sogar deren Abgeordneter.
04:03Und andere sozialdemokratische Führer gehen auch sehr wohl zu Revanchisten treffen oder schicken Grußadressen und alle Gelder werden den Berufsvertriebenen keineswegs von der Regierung gestrichen.
04:17Und dann gibt es dann noch etwas und das hat mit den Berufsvertriebenen nichts zu tun.
04:21Das ist Staatssache, Regierungssache und das sieht so aus, heute im Sommer 1971, immer noch.
04:30Geografieunterricht 1971. Thema, die früheren deutschen Ostgebiete.
04:39Diesen Film hat das Bundesinnenministerium Abteilung Vertriebene aus Material zusammengestellt, das vor 1945 in Schlesien gedreht wurde.
04:48Die Bildstellen von zehn Bundesländern leihen ihn heute an unsere Schulen aus.
04:52An der neuen schlesischen Baude vorbei erreichen wir die baumlose Gegend.
05:01Und da tut sich vor uns überraschend Rübezahls Reich auf.
05:06Es sieht fast so aus, als hätte der sagenumwobene Herr dieses Berglandes, der das Gute belohnt und das Böse straft,
05:13Menschen in ihrer Niedertracht zu bizarren Gebilden erstarren lassen.
05:21Großer Gott Rübezahl.
05:24Aber nein, ich habe mich getäuscht.
05:28Das ist gar nicht Rübezahl.
05:29Das ist der freundliche Herr von vorhin.
05:31Er hat sich nur eine Kapuze übergezogen, weil es kalt geworden ist.
05:34Ziel des erdkundlichen Unterrichts sind klare und wirklichkeitsnahe Vorstellungen von den Lebensräumen und ihren Bewohnern.
05:48Diese Aufgaben fordern vom Erdkundelehrer eine dauernde kritische Beschäftigung mit dem Geschehen der Gegenwart
05:53und eine dementsprechende Behandlung im Unterricht.
05:57Die Erdkunde ist somit auch Gegenwartskunde.
06:00Erdkunde ist immer als Gegenwartskunde zu verstehen.
06:07Gemeinschaftskunde als Unterrichtsfach soll sauberes Sachwissen vermitteln.
06:13Und ehe wir uns versehen, sind wir wieder mitten in Rübezahls Märchenwelt.
06:20Und heute?
06:22Ginge der Berggeist heute durch seine Wälder, würde er nur die fremdartigen Laute eines Volkes hören,
06:27das von Rübezahl nichts weiß und von ihm nichts wissen will.
06:31Wundert es sich daher, dass er sich grollend zurückzog in sein granitnes Schloss tief unter dem großen und dem kleinen Teich?
06:38Hier will er warten, bis seine lieben Schlesier in ihre alte Heimat zurückkehren
06:42und ihn wieder herausrufen mit einem glücklichen Rübezahl, Rübezahl.
06:47Dieses Zitat stammt aus einem Erdkundebuch, das vor sechs Jahren in der zweiten Auflage erschien
06:54und für das Schuljahr 1970-71 an den Grund- und Hauptschulen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen,
07:01Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zugelassen ist.
07:05Verantwortlich für solche Passagen zeichnen nicht nur unbelehrbare Schulbuchautoren,
07:09sondern vor allem die Kultusministerien der Länder, denn ohne ihre Genehmigung gelangt kein Lehrbuch in die Schulen.
07:16Die ständige Kultusministerkonferenz empfiehlt zwar eine Überprüfung des Verfahrens,
07:21doch vorerst bleibt alles beim Alten.
07:23Ja, beim alten Rübezahl, der sich wie Weiland Barbarossa in den Küffhäuser
07:29grollend in sein granitenes Schloss tief unter dem großen und dem kleinen Teich zurückgezogen hat
07:35und darauf wartet, ja, worauf wohl, dass das Reich komme
07:39und dass die lieben Schlesier zurückkehren und ihn wieder herausrufen.
07:45Meine Damen und Herren, an dieser bundesdeutschen Schulwirklichkeit des Jahres 1971
07:50wird deutlich, was man zu halten hat von so schönen Reden wie klare und wirklichkeitsnahe Vorstellungen
07:58von den Lebensräumen und ihren Bewohnern, Lebensraum.
08:02Oder von dauernder kritischer Beschäftigung mit dem Geschehen der Gegenwart.
08:07Oder von der Gemeinschaftskunde, die sauberes Sachwissen vermitteln soll.
08:13Und von dem entrüsteten Bonner Geschrei, Revanchismus gibt's nicht, das ist eine Erfindung der DDR.
08:20Die deutsche Ostseeküste.
08:24Einen Hubschrauber müssten wir haben, um von Flensburg bis nach Memel langsam an ihr entlangfliegen zu können.
08:31Die über 60 Meter hohen Dünen der kurischen Näherung bei Nidden wären ein guter Landeplatz für unseren Hubschrauber.
08:39Überall zeugen noch Burgen, Städte, Dörfer und das weite Land von der Arbeit deutscher Hände.
08:46Auch wenn alle Siedlungen heute polnische und im nördlichen Ostpreußen russische Namen tragen.
08:54Ordensritter waren einst in das dünn besiedelte Land der alten Prutzen gezogen, um das Christentum und die deutsche Kultur zu verbreiten.
09:03Als vor 500 Jahren der Ritterorden von den Polen und den Litauern besiegt worden war, unterstanden Land und Leute 200 Jahre lang polnischen Königen.
09:15Trotzdem blieben die Bewohner ihrer deutschen Art treu.
09:19Komm an heute. Das Ackerland ist meist ordentlich bestellt.
09:24Aber an den kümmerlichen Ehren sieht man zur Erntezeit schon, dass die Erträge niedrig sein müssen.
09:30Für den Aufbau der Wirtschaft hat man sich in letzter Zeit wohl auf die ehemaligen deutschen Verhältnisse besonnen.
09:37Das ehemalige Herrenhaus sieht recht verwahrlost aus.
09:40Doch das Portal hat eine neue Tür erhalten.
09:42Die uns von früher so vertrauten Grünanlagen und Blumenbeete vor dem Herrenhaus fehlen.
09:48Der Park ist verwildert.
09:50Für solche Arbeiten stehen keine Hilfskräfte zur Verfügung.
09:54Ostdeutschland unter polnischer Verwaltung.
09:57Auf der asphaltierten Hauptstraße fahren wir von Warschau aus Nordwerken.
10:01Nach zwei Stunden erreichen wir die 175 Kilometer von Warschau entfernte alte deutsch-polnische Grenze.
10:09Die Dörfer zeigen an, dass wir auf deutschem Boden sind.
10:12Immer noch sind einzelne Höfe halb zerstört.
10:15Auch fehlen die gepflegten Vorgärten von früher.
10:18Nirgends hören wir ein deutsches Wort.
10:20Ostpreußen heute.
10:22Die letzten Deutschen mussten 1950 ihre Heimat verlassen.
10:27Vornehmlich Kirgisen und Tartaren wurden in den menschenleeren Raum eingewiesen.
10:32Slavische Völker rückten in die leer gewordenen Räume ein.
10:35In wenigen Jahren wurde das Ergebnis einer 800-jährigen kolonisatorischen Leistung deutscher Stämme vernichtet.
10:43Der Verlust der Ostgebiete bedrückt uns aber auch deshalb, weil wir immer noch Mühe haben, die vielen ostdeutschen Bauern in ihrem Beruf unterzubringen.
10:51Die Polen und Russen andererseits richten sich im deutschen Osten so ein, als ob er ihr eigenes Staatsgebiet wäre.
10:59Und dabei reicht doch Deutschland, wenn schon nicht von der Maas, so doch wenigstens von Flensburg bis zur Memel, wie wir hörten.
11:06Und man würde doch so gern auf der kurischen Nehrung landen, wo doch die deutschen Ordensritter mit ihrem historisch-notorischen Mord, Brand und Raub die schöne deutsche Kultur verbreitet und den Prutzen und Polen und Russen schöne deutsche Art beigebracht haben.
11:23Polnische Wirtschaft wagt man nicht mehr zu schimpfen, traut man sich nicht, aber kümmerlich sieht es da natürlich aus und verwahrlost und verwildert und keine Blumenbeete gibt es und die deutschen Höfe sind halb zerstört und die gepflegten Vorgärten von früher fehlen.
11:40Aber das kommt natürlich nur daher, dass man dort nirgends mehr ein deutsches Wort hört und dass Kirgisen und Tataren und Slaven sich da so eingerichtet haben, als ob es ihr eigenes Staatsgebiet wäre.
11:52Bonner Schulwirklichkeit 1971. Nach 20 Monaten Regierung Brandschel. Nach anderthalb Jahren neuer Ostpolitik. Und ein knappes Jahr nach der Bonner Unterschrift unter die Verträge mit der Sowjetunion und mit Volksbohren.
12:09Meine Damen und Herren, wir sehen, die Ostgrenze dieser BRD an Elbe und Werra verläuft nicht nur zwischen zwei voneinander unabhängigen Staaten, sie verläuft zwischen zwei Welten.
12:22Drüben die kapitalistische Welt, die nicht nur nach innen unterdrückt, sondern nach außen expandieren, sich ausdehnen will, durchs veränderte Kräfteverhältnis zu einer Friedensdemagogie gezwungen und mit verfeinerten Methoden, also besser getarnt, aber im Wesen unverändert aggressiv.
12:40Hier dagegen die sozialistische Staatengemeinschaft, die zwei Drittel Europas umfasst und der die längste Friedensperiode dieses Jahrhunderts auf unserem Kontinent zu danken ist.
12:52Zwei Welten.
12:53Und wir, der sozialistische, deutsche Friedensstaat, wir haben mit jenem System der Unterdrückung und der Aggression, wir haben mit dem Imperialismus nichts gemein.
13:05Das Gegenmittel, das die SED Genossen wie Nichtgenossen predigt, heißt Abgrenzung und sei es gegen den Onkel in Köln, der gelegentlich Pakete schickt.
13:17Als Ergebnis eines Vierteljahrhunderts deutscher Politik unter kommunistischem Vorzeichen ist diese gewollte Entfremdung gewiss deprimierend.
13:28Doch wir im Westen sollten deshalb nicht aufhören, über unseren eigenen Anteil an dieser Entwicklung nachzudenken, mit dem Blick auf die Zukunft.
13:38Wir vergessen zu leicht, dass es bis 1961 in Berlin keine Mauer gab.
13:46Haben wir, hat die Bundesrepublik überhaupt keine Verantwortung dafür, dass zur Teilung die Trennung kam?
13:55Weiter sollten wir uns fragen, wie gut sind wir denn vorbereitet für ein friedliches Neben- oder gar Miteinander der beiden deutschen Staaten und ihrer Menschen,
14:04auf das alle Vernünftigen hoffen, auch in den Reihen der SED.
14:08Schließlich, wie steht es bei uns mit der Abgrenzung?
14:13Wissen wir, verstehen wir genug von dem, was drüben geschehen ist und geschieht und haben wir im eigenen Haus genug getan, um einigermaßen bestehen zu können?
14:24Das Stichwort heißt Abgrenzung.
14:27Die DDR als sozialistischer deutscher Nationalstaat wird dem imperialistischen NATO-Staat Bundesrepublik gegenübergestellt.
14:35Ein Armeegeneral Hoffmann erklärt, wir grenzen uns entschieden ab von diesem Regime, zu dem es kein innerdeutsches Sonderverhältnis,
14:43sondern nur das Verhältnis der Klassenfeindschaft geben kann.
14:46Sie predigen unversöhnliche Feindschaft und unerbittlichen Hass gegen die Bundesrepublik als Staat und ihre Bewohner als Deutsche.
14:55Die Sozialdemokratie als führende Regierungspartei wird verdächtigt, mit der verweigerten Anerkennung der DDR die Spannung zu schüren und objektiv einen neuen Krieg vorzubereiten.
15:06Die Bonner Ostpolitik wird als raffiniert getarnte Politik der Revanche und der Annexion gekennzeichnet.
15:15Der sogenannte Sozialdemokratismus als importierte Konterrevolution hingestellt.
15:20Dabei müssen sich die Ostberliner wie alle Kommunisten zur friedlichen Koexistenz bekennen.
15:25Also eigentlich ist es zu viel der Ehre, solchen Fälschern vom Westfernsehen zweieinhalb Minuten für ihren Wirrwarr über die Abgrenzung einzuräumen.
15:36Aber einerseits können sie es ja wohl gar nicht anders.
15:40Zum anderen muss man den Konsumenten oder richtiger den Opfern dieses niederträchtigen Unsinns etwas helfen, sich zurechtzufinden.
15:48Dass sich Kommunisten zur friedlichen Koexistenz bekennen müssen, also gewissermaßen gezwungen sind,
15:57das ist genauso lustig wie der Einfall des anderen Kommentators, dass auch in den Reihen der SED die Vernünftigen auf friedliches Nebeneinander der beiden deutschen Staaten hoffen.
16:08Immerhin war es Lenin, der die Politik der friedlichen Koexistenz begründete.
16:12Immerhin ist es die Deutsche Demokratische Republik, die als einzig mögliche Grundlage normaler Beziehungen zur BRD die friedliche Koexistenz herstellen will.
16:22Und immerhin ist es die BRD, die von Adenauer über Erhard bis Kiesinger friedliche Koexistenz mit der DDR strikt ablehnte.
16:30Und die Regierung Brandt spricht zwar von gleichberechtigtem Nebeneinander und dass keiner den anderen bevormunden darf.
16:39Aber in der Praxis handelt sie unter dem Motto besondere innerdeutsche Beziehungen der friedlichen Koexistenz und der Gleichberechtigung entgegen.
16:50Und was da im Westfernsehen über die Abgrenzung geschwätzt wird, Hass auf die Bewohner der BRD als Deutsche und Abgrenzung gegen den Onkel aus Köln,
17:00Und das ist nun schon nicht mehr fahrlässiger Unsinn, das ist böswillige Verleumdung.
17:05Vom Imperialismus grenzen wir uns ab, ideologisch und politisch, vom kapitalistischen System.
17:12Genau genommen war das kommunistische Manifest der Beginn der Abgrenzung, das erste Dokument der Abgrenzung.
17:19Der alte Klassengegensatz hat heute an Elbe und Werra staatliche Gestalt angenommen.
17:24Und die Abgrenzung nicht von unseren Klassengenossen im Westen, sondern vom Imperialismus.
17:31Die Abgrenzung ist nichts anderes als ein objektiver Prozess in unserer Epoche,
17:37deren Charakter bestimmt wird durch den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus.
17:42Dass es da keine Konvergenz gibt, keine Annäherung oder gar Deckungsgleichheit,
17:48sondern dass im Gegenteil die Divergenz wächst, dass die Unterschiede und Gegensätzlichkeiten zunehmen,
17:54nur bei Springer will man das nicht zugeben.
17:57Meine Damen und Herren, in München erschien kürzlich eine interessante Buchsammlung
18:02von 4000 Briefen aus der DDR in die BRD.
18:07Briefe aus einem anderen Staat, aus einer anderen Welt.
18:12Bei uns denkt man doch immer ein bisschen herablassend von der DDR als einer Provinz,
18:18als einer großen Provinz.
18:21Kann man sagen, dass die Briefe davon überzeugen,
18:26dass dieses Provinzlertum durchaus nur in unserem Bewusstsein vorhanden ist?
18:30Ganz sicher, das weiß ich nicht nur aus der Lektüre der Briefe,
18:33das weiß ich auch als gelegentlicher Besucher anderer sozialistischer Länder Osteuropas,
18:39wo man die DDR durchaus nicht als Provinzielle empfindet, als Wirtschaftsmacht nicht.
18:47Die Briefpartner hier sind nicht provinziell.
18:52Es sind bewusste Leute, die ihre eigene Lage und die ihrer Briefpartner ziemlich genau analysieren.
18:58Nun sind es aber relativ intelligente Leute, die da schreiben,
19:00und man sieht es auch am Stil der Briefe.
19:03Ja, es sind aber sehr viele, die nicht aus der sogenannten Intelligenzschicht kommen.
19:11Ja, das war für mich überraschend.
19:12Ich glaube, mindestens ein Drittel der Briefpartner
19:15sind ehemalige Handwerker oder Lehrlinge, Kaufmännische oder was gewesen,
19:22die auf einem zweiten Bildungsweg oder irgendeinem Briefbildungsweg,
19:27die wir ja alle nicht kennen, Lehrer, Techniker, Ärzte, Ingenieure geworden sind.
19:32Also sie sind, das was sie intelligent oder artikuliert nennen,
19:38ist nicht vererbt, sondern erworben.
19:41Erworben durch offenbar vorhandene Bildungsmöglichkeiten.
19:44Das ist ein ganz fantastisches Beispiel, eine, glaube ich, 50-jährige Bayerin,
19:48die irgendwelche Kurse macht, eine ungeheuer intelligente, energische Frau,
19:54die eigentlich Arbeiterin gewesen ist.
19:57Aber auch die äußert sich intelligent und artikuliert,
20:01wahrscheinlich auch aufgrund verschiedener Bildungsstufen,
20:04die sie hinter sich gebracht hat.
20:06Der Schriftsteller Heinrich Böll gehört zu den wenigen westlichen Autoren,
20:09dessen Bücher auch in sozialistischen Ländern erscheinen.
20:12Haben die Schreiber der veröffentlichten Briefe
20:14die innere Abgrenzung zur Bundesrepublik nicht schon längst vollzogen?
20:17Ja, nach meinem Eindruck nach der Lektüre,
20:20der intensiven Lektüre dieses Buches,
20:23würde ich das auch so nennen.
20:26Ich glaube, dass in den letzten Briefen,
20:28die nach dem Mauerbau geschrieben sind,
20:30dieser Ton sehr deutlich ist,
20:32der sich jede karitative Anbiederung,
20:38jede Überlegenheit verbietet.
20:40Es gibt da sehr klare Äußerungen über die Peinlichkeit,
20:44mit der Bundesdeutsche dort auftreten.
20:48In dem Sinne erfolgt ganz klar eine innere Abgrenzung,
20:51und zwar für alle in dem Buch vertretenen Generationen.
20:53Was für mich sehr interessant ist,
20:55für 17-jährige Mädchen wie für 70-jährige Kaufleute.
21:00Die Bundesrepublik, lange Jahre sicher wegen ihres rapide steigenden Wohlstandes
21:04und manches beneidet, wird inzwischen äußerst kritisch gesehen.
21:07Aus dem Brief einer pensionierten Lehrerin.
21:10Der Drang zum Luxus bei euch ist gewaltig.
21:13Beispielgebend sind da wohl die USA.
21:16Die riesigen Autos haben kaum noch Platz auf den Straßen.
21:19Dann die protzenhaften Gebäude mit den Einrichtungen.
21:22Wer macht nach?
21:23Der Deutsche.
21:24Von Politik will man nur selten etwas wissen.
21:26Die Hauptsache ist,
21:27man wird in seinem Wohlstand nicht gestört.
21:30Die Liebe zum anderen Deutschland scheint mir gering.
21:32Man wird bemitleidet und eins steht fest,
21:35als Mensch niederer Ordnung angesehen.
21:37Es gefiel mir dort nicht.
21:39Es sind heute zwei verschiedene Welten, die sich gegenüberstehen.
21:42Die sogenannte Freiheit gilt nur den persönlichen Interessen.
21:46Tja, es sind zwei Welten.
21:49Zwei Staaten,
21:50zwei unvereinbare Gesellschaftsordnungen,
21:53zwei unvereinbare Wirtschaftsordnungen,
21:56zwei Kulturen, denn was hat unsere Kultur,
21:58die den Menschen zum Ziel, zum Inhalt hat,
22:01was hat unsere Kultur mit der Kultur drüben gemein,
22:04die ja auf die Verwirrung der Gedanken
22:06und auf die Verrohung der Gefühle zielt.
22:09Hier Völkerfreundschaft und friedliche Koexistenz nach außen
22:14und im Innern alles für den Menschen,
22:16für die Befriedigung seiner materiellen und kulturellen Bedürfnisse.
22:20Und drüben Revanchismus nach außen
22:23und Profit auf Kosten des Volkes im Innern.
22:26Das sind unleugbar, unvereinbare Positionen.
22:31Dieses Buch macht deutlich,
22:34dass bei vielen DDR-Bürgern die Forderungen nach eindeutigerer Abgrenzung,
22:38wie sie Erich Honecker jetzt auf dem SED-Parteitag so pointiert formulierte,
22:42nicht sensationell sind.
22:43Für viele Schreiber ist nach der äußeren Trennung der beiden Gesellschaftssysteme
22:47der innere Bruch nur konsequent.
22:48Die ausgewählten Briefe wurden von 1945 bis heute geschrieben.
22:56Aus dem Brief einer Studentin.
22:58Eigentlich habe ich lange überlegt,
22:59ob es überhaupt noch Zweck hat, diesen Briefwechsel fortzusetzen.
23:03Wir, das heißt hier bei uns und ihr in eurem Wirtschaftswunderland,
23:06sind unterschiedliche Menschen,
23:08die auf politischem Gebiet von einem ganz anderen Niveau aus diskutieren.
23:12Es tut mir leid, die als Älterem das sagen zu müssen.
23:15Aber das Niveau der Bundesbürger in politischer Hinsicht ist nicht sehr hoch.
23:20Ihr seht einfach keine wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge.
23:24Wie sagt doch der Lateiner,
23:25Brot und Spiele fürs Volk.
23:27Bei uns heißt es immer noch,
23:28dass das Denken die erste Pflicht ist.
23:30Untertitelung des ZDF für funk, 2017

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