Das Urteil des EugH im Fall Lassana Diarra sorgte für viele neue Fragen auf dem Transfermarkt. Wie weitreichend die Folgen seien könnten und was das alles mit der Transfersperre des 1. FC Köln zu tun hat, erklärt kicker-Reporter Benjamin Hofmann.
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SportTranskript
00:00Steht ein Ende des Transferwahnsinns bevor?
00:02Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs lässt das System zumindest erzittern.
00:07Denn dem Fußball könnte die größte Veränderung seit den Bossmann-Urteilen 1995 bevorstehen.
00:13Was genau ist passiert?
00:15Welche Folgen könnte das für die Superstars der Branche haben und welche für die Klubs?
00:20Fragen über Fragen und der Kicker klärt auf.
00:30Kippt das Transfersystem, wie es der Fußball kannte?
00:32Warum man sich diese Frage stellen kann, dafür ist er verantwortlich, Lassana Diarra.
00:39Kurzer Rückblick ins Jahr 2014.
00:41Der Franzose ist Profi von Lokomotive Moskau und möchte zu Charleroi nach Belgien wechseln.
00:47So weit, so normal im Fußball.
00:49Doch dann überschlagen sich die Ereignisse, wie Kicker-Reporter Benny Hofmann erklärt.
00:53Lassana Diarra ist vielleicht im ein oder anderen Fußball-Fernwurf ein Begriff, hat unter anderem
00:57für Real Madrid und Paris Saint-Germain gespielt.
01:00In dem Fall geht es um seine Zeit bei Lokomotive Moskau.
01:02Er hat sich 2014 mit dem Trainer, mit dem damaligen, verstritten, hat sich dann geweigert,
01:07am Training teilzunehmen und wurde daraufhin gekündigt vom Klub.
01:10Es gab dann eine Sanktion der FIFA von 10,5 Millionen Euro.
01:15Und das ist das große Problem.
01:17Sollte ihn ein neuer Verein unter Vertrag nehmen, wäre dieser Verein auch gesamtschuldnerisch
01:22dafür haftbar, nach FIFA-Transferregeln, diese hohe Sanktion zu bezahlen.
01:27Deswegen, sagt Diarra, habe er keinen Vertrag zum Beispiel bei Sporting Charleroi bekommen.
01:32Die Belgier waren damals an ihm interessiert.
01:34Dagegen hat er von dem belgischen Gericht geklagt, auf Schadenersatz.
01:38Das hat ihm in erster Instanz recht gegeben.
01:39Die zweite Instanz hat sich mit Fragen an den Europäischen Gerichtshof, EuGH, in Luxemburg gewendet.
01:45Und dieser hat nun diese Fragen beantwortet und unter anderem hat er Teile der FIFA-Transferregeln
01:51für nicht vereinbar mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit erklärt, die nun mal in der EU gilt.
01:57Ein Jahr lang war der Profi vereinslos.
02:00Der Rechtsstreit dauerte 10 Jahre.
02:02Jetzt gab der Europäische Gerichtshof, den Anwälten des Spielers aber recht.
02:06Diese bewerten das Urteil als einen großen Sieg.
02:09Zitat, das System ist tot, wenn man es seines Kerns beraubt.
02:13Aber ist es so einfach und das System wirklich tot?
02:16Ja und nein.
02:18Ich habe ja schon gesagt, der EuGH hat Teile der FIFA-Transferregeln für unwirksam erklärt mit Blick auf das EU-Recht.
02:24Er hat aber eben auch Teile des Transferreglements bestätigt.
02:30Er hat zum Beispiel gesagt, Sanktionen, wenn sie ausgesprochen werden von Verbänden, jetzt unabhängig von der FIFA,
02:37die müssen transparent sein und sie müssen natürlich angemessen sein.
02:40In dem Fall DIARA, die Höhe von 10,5 Millionen, erschien offenbar den Richtern nicht angemessen und auch nicht transparent genug zustande gekommen.
02:49Was der EuGH explizit nicht gesagt hat, ist, dass die Sanktionierung von vertragsbrüchigem Verhalten nicht erlaubt wäre.
02:57Und was genau könnte sich denn nun im Fußball durch diesen Rechtsspruch ändern?
03:01Ist ein Ende des immer mehr zunehmenden Transferwahns, in dem Sommer für Sommer Summen jenseits der 100 Millionen Euro gezahlt werden, in Sicht?
03:08Die Experten sind schon der Überzeugung, dass das EuGH-Urteil im Fall DIARA genau diesen Einschnitt bedeuten könnte.
03:16Also sprich, dass womöglich neunstellige Transferablösesummen der Vergangenheit angehören, wie wir sie eben in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch hatten.
03:26Prominenteste Fälle, Cristiano Ronaldo, Paul Pogba und natürlich das Allzeithoch mit dem Wechsel von Neymar 2017 für 222 Millionen Euro,
03:35um FC Barcelona zu PSG, wo er, und das ist eine witzige Pointe, ja auch eine Saison gemeinsam mit DIARA zusammenspielte.
03:43Das Urteil könnte also das Geschehen an der Fußballspitze verändern, aber auch Auswirkungen auf den deutschen Fußball haben.
03:50Der 1. FC Köln darf seit zwei Transferphasen keine Spieler verpflichten.
03:54Die Folgen des Urteils im Zuge der Verpflichtung des slowenischen Jugendspielers Jakar Kuba Potocnik im Januar 2022.
04:01Nun wackelt durch die EuGH-Entscheidung auch die Basis dieses Urteilsspruchs.
04:05Klar ist, die Kölner, das hat Sportgeschäftsführer Christian Keller gesagt, prüfen mögliche Schadenersatzforderungen gegen die FIFA
04:13mit Blick auf die Transfersperre oder die Registrierungssperre von neuen Profis, die der Weltverband wegen des Potocnik-Wechsels ausgesprochen hat.
04:21Das ist das gute Recht der Kölner und nur sinnvoll, dass sie das überprüfen.
04:24Die Frage ist, wie erfolgversprechend wäre eine Klage, die man dann von dem Nationalen Gericht, wahrscheinlich dem Landgericht Köln, einreichen müsste.
04:33Es gibt schon ein, zwei Dinge, da kann man sagen, das steht einem möglichen Erfolg der Kölner entgegen.
04:39Die erste Frage ist, gibt es denn einen kausalen Zusammenhang zwischen der Registrierungssperre und dem Abstieg der Kölner in die 2. Liga?
04:48Die hat dem Verein viel Geld gekostet und kostet ihn immer noch viel Geld, klar.
04:51Aber lässt sich denn so einfach belegen, dass aufgrund dieser Sperre der Abstieg zustande gekommen ist?
04:57Ich glaube, das wird nicht ganz leicht.
05:00Andere Sache ist die, im Fall von Potocnik war es eben so, dass der Spieler Olympia Ljubljana gekündigt hat und tags darauf beim 1. FC Köln unterschrieben hat.
05:10Weswegen die FIFA offenbar zu der Annahme gekommen ist, dass die Kölner den Spieler zur Kündigung angestiftet haben.
05:17Im Fall Diarra ist es ein bisschen anders, da hat ja Lok Moskau den Spieler gekündigt.
05:23Insofern haben die Kölner natürlich recht, wenn sie sagen, der Kern der Transferregeln, auf deren Basis ihre Verurteilung ja auch basierte, ist ausgehebelt.
05:35Der Sachverhalt ist womöglich aber ein anderer.
05:38Das Urteil wirft also große Fragen auf.
05:40Detaillierte Antworten werden aber erst die Zeit und weitere Gerichtsurteile liefern.
05:45Einzelfälle stehen auf der Kippe, aber auch das gesamte Transferkarussell ist auf dem Prüfstand.
05:50Kann man unter diesen Umständen schon von einem zweiten Bossmann-Urteil sprechen?
05:55Ich würde sagen, es ist ein kleiner Bossmann.
05:57Ich glaube, dieser Diarra-Spruch der Sorge H. wird am Ende schon Auswirkungen auf den Fußball haben.
06:04Stichwort Höhe der Transfersummen.
06:06Ich glaube aber nicht, dass er das Transfersystem ins Mark erschüttern wird.
06:10Bei Bossmann müssen wir uns immer vergegenwärtigen.
06:13Bis zu diesem Urteil war es eben so, dass ein Spieler auch nach Ende seines laufenden Vertrages ja immer noch Ablöse gekostet hat.
06:23Und erst seit Bossmann, seit 1995, ist es so, dass Spieler ablösefrei wechseln können.
06:29Und vor dem Hintergrund, das hat schon extrem viel verändert, vor allem an der Vertragsgestaltung, an den Vertragslängen im Fußball.
06:36Diarra wird Dinge ändern, aber ich glaube nicht, dass es so einen Impact haben wird auf den Fußball wie Bossmann.
06:41Die berühmte Blase könnte nun also, wie seit vielen Jahren aus vielen Kehlen prognostiziert, tatsächlich platzen.
06:48Also zumindest, was die Ablösen angeht.
06:51Der Grund käme aber aus einer ganz anderen Ecke als vermutet.
06:54Lassana Diarra, einst im Trikot von Real Madrid, Chelsea oder Arsenal unterwegs,
06:59könnte in Zukunft ganz anders in Erinnerung bleiben, als von ihm gedacht und erhofft.
07:04Nämlich als der Spieler, der den Fußball, wie wir ihn heute kennen, in seinen Grundfesten erschüttert und verändert hat.