Die Reichsbahn unterfährt Berlin (1935)

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00:00ENDE
00:30An der Bewältigung des riesigen Verkehrs, der die Reichshauptstadt mit ihren mehr als
00:51vier Millionen Einwohnern ständig durchpulst, ist auch die Reichsbahn mit ihrem Schnellbahnnetz
00:57hervorragend beteiligt.
00:59Stadt- und Ringbahn legen sich gleich einem eisernen Gürtel um den Stadtkern und durchqueren
01:05ihn in der Ost-West-Achse.
01:06Eine Nord-Süd-Verbindung dagegen fehlte bisher in diesem S-Bahn-Netz.
01:19Um die Lücke zwischen den nördlichen und den südlichen Vorortstrecken zu schließen,
01:24führt die Reichsbahn den Bau einer Nord-Süd-S-Bahn durch, die zugleich vier Fernbahnhöfe unmittelbar
01:30miteinander verbinden wird.
01:32Die Strecke beginnt im Norden, in der Nähe des Stettiner Bahnhofs.
01:43Über den Bahnhof Friedrichstraße führt sie mitten durch das Herz Berlins.
01:47Sie legt sich in die Straße unter den Linden, berührt den Potsdamer Platz, den Anhalter
01:54Bahnhof und verzweigt sich schließlich jenseits des Landwehrkanals beim Bahnhof Yorkstraße
01:59in die südlichen Vorortstrecken.
02:01Um den Oberflächenverkehr nicht zu beeinträchtigen, muss die neue S-Bahn-Strecke in ihrer Gesamtlänge
02:09von rund sechs Kilometern unter die Erdoberfläche verlegt werden.
02:17Trotzdem verändert sich auch das Straßenbild.
02:20Ganze Häuserblocks fielen der Spitzhacke zum Opfer.
02:29Benahrte Häuser wurden durch Vertiefung ihrer Fundamente gesichert.
02:34Aus dem Baugelände mussten sodann die in den Straßen liegenden Leitungen verlegt werden.
02:45Rammträger zur Begrenzung der Baugrube werden in den Boden gerammt.
02:59Das Pflaster wird durch eine vorläufige Fahrbahndecke ersetzt.
03:14Tiefbrunnen saugen Tag und Nacht das Grundwasser, das etwa drei Meter unter der Straßendecke
03:30steht, bis unter die Tunnelbaugrubensohle ab.
03:33Nun wird der Boden ausgeschachtet.
03:35Die Baugrube wird ausgesteift und ausgebohlt.
03:51Eine Sohlenschutzschicht aus Beton wird eingebracht und darüber klebt man als Grundwasserschutz
04:16eine vierfache Dichtungslage.
04:17Nun folgen auf der mit Rundeisen armierten Sohle die Betonierungsarbeiten.
04:27Auch die ebenfalls abgedichteten Seitenwände werden ausbetoniert.
04:42Deckenträger werden verlegt, Betonkappen werden zwischen ihnen gespannt.
04:59Die Decke wird abgedichtet, man verfüllt die Baugrube über der Decke.
05:21Das Grundwasser steigt zur alten Höhe auf, das Straßenpflaster wird ergänzt, der Tunnelrohbau
05:36ist fertig und der Einbau der elektrischen Anlagen und Gleise kann beginnen.
05:40Nicht ganz so einfach und schnell wie im Trick entwickeln sich die Arbeitsvorgänge auf den
05:47Baustellen selbst.
05:48Schon allein der Erdaushub erfordert für Monate den Einsatz zahlreicher Arbeitskräfte.
05:59Nicht weniger als 1,8 Millionen Kubikmeter Boden müssen ausgeschachtet werden und dies
06:06bei sehr beengten örtlichen Verhältnissen.
06:08Alle Beförderungsmittel vom Pferdefuhrwerk und der Feldbahn bis zum Aufzug und zum Lastkraftwagen
06:21werden für die Abfuhr der Erdmassen eingesetzt.
06:24Förderbänder schaffen den Aushub in mehreren Staffeln bis zum Eisenbahnwagen.
06:32Zum Absteifen und Ausbohlen der ausgehobenen Baugrube sind für die 6 Kilometer Strecke
06:5875.000 Kubikmeter Bauholz notwendig.
07:02Man baut also nach und nach tatsächlich ganze Wälder in den Tunnelschacht dieser Bahn ein.
07:07Sehr schwierig gestaltete sich die Unterfahrung der Gleise des Stettiner Bahnhofs, weil der
07:28lebhafte Fernverkehr nach den Ostseebädern aufrechterhalten werden musste.
07:32Vorwiegend in den nächtlichen Betriebspausen wurden darum etwa 1200 Meter eiserne Hilfsbrücken
07:41zur Abfangung der Gleise eingebaut.
07:43Auch der Erdaushub war hier besonders mühsam.
07:48Man verwendete große Greifer, die den märkischen Sand in der Tiefe faßten und ihn unmittelbar
08:06über den Wagen des Arbeitszuges entleerten.
08:09Insgesamt 350.000 Quadratmeter Dichtungsbahnen müssen zum Schutze gegen das Grundwasser
08:26um den Tunnelkörper gelegt werden.
08:27Als Band von einem Meter Breite ausgelegt würden sie von Berlin bis in das Ruhrgebiet
08:35reichen.
08:36In mehreren Lagen übereinander wird die Pappe sehr sorgfältig mit einer heißen Bitumenmasse
08:48zusammengeklebt.
08:49Das Gerippe für die Betonbandungen des Tunnels besteht aus seltsam gebogenen, tretenden
09:08Kräften bemessenen Rundeisenstangen, die miteinander verflochten werden.
09:12Viele tausend Tonnen Eisen werden hierzu eingebracht.
09:18Würde man aber die zum Tunnelbau notwendige Beton- und Eisenbetonmenge zu einem einzigen
09:30Betonklotz aufschichten, so würde man mit ihren 500.000 Kubikmetern den Rauminhalt des
09:37Berliner Schlosses ausfüllen können.
09:39Zentral angelegte Mischanlagen bearbeiten das Mischgut.
09:50Feldbahnen leiten den Beton zu den Schüttstellen.
09:59Damit keine Hohlräume entstehen, muss der Beton sehr gründlich zwischen den Gliedern
10:24des Rundeisengeflechts gestampft werden.
10:27Die Seitenwände werden zunächst verschalt, ehe der Beton von oben her eingeschüttet
10:46werden kann.
10:47Ist die Masse nach etwa acht Tagen erhärtet, dann fallen die Verschalungen.
11:11Mit großer Vorsicht wurden schließlich in den Bauabschnitt Stettiner Bahnhof schwere,
11:30geschweißte Tunnelstützen herabgelassen.
11:32Jede dieser Stützen hat ein Gewicht von fast zwei Tonnen.
11:38Sie werden dort, wo der Tunnel besonders breit ist, zur Aufnahme von Unterzügen für
11:45die Deckenträger aufgestellt.
12:08Umfangreiche Holzgerüste und Schalungen sind erforderlich, um die Betondecke herstellen
12:15zu können.
12:16Hierbei wird, außer den üblichen Trägern, in besonderen Fällen eine Rundeisenarmierung
12:30eingebaut.
12:31Damit ist der Tunnel im eigentlichen Rohbau fertig, unbeeinflussbar von den Launen der
12:36Natur und den Erschütterungen des oberirdischen Verkehrs, wartet er seiner Bestimmung.
12:41Beim Bau der Nord-Süd-S-Bahn galt es jedoch nicht nur, dem Erdreich Raum abzugewinnen,
12:48sondern es mussten auch zwei Wasserläufe, die Spree und der Landwehrkanal, gekreuzt
12:53werden.
12:54Um Schifffahrt und Vorflut nicht zu stören, wurde die Unterfahrung der an dieser Stelle
13:00etwa 60 Meter breiten Spree zwischen Artilleriestraße und Weidendamm auf zwei Bauabschnitte verteilt.
13:07Die Ebertsbrücke wurde zunächst abgebrochen.
13:10Eine Notbrücke übernahm die dort liegenden Versorgungsleitungen, sie ermöglicht zugleich
13:17die Aufrechterhaltung des Fußgängerverkehrs.
13:27Dankwierige Bohrungen erforderte die Sprengung des Brückenmauerwerks.
13:31Die Sprengstelle wird vor der Sprengung mit Drahtmatten abgedeckt, um eine Gefährdung
13:40der näheren Umgebung durch Sprengstücke zu vermeiden.
13:43Dem mächtigen Nordbrückenpfeiler gingen schließlich Taucher mit Unterwassersprengungen
13:54zu Leibe.
13:55Zur Sicherung der Baugrube wurden sodann ein äußerer und ein innerer Spundwandzug aus
14:10eisernen Spundbohlen geschlagen.
14:11Die Abgrenzung zwischen der äußeren Spundwand und der verbleibenden Schifffahrtsstraße
14:23bildet ein Leitwerk aus Holzbohlen und Pfählen, das das Antreiben der Schiffe an die Spundwände
14:29verhindert.
14:30Zwischen den Spundwänden liegt der schützende Fangedamm mit seinem besonders verstärkten
14:46Kopffangedamm.
14:47Tiefbrunnen senken nun zwischen den Spundwänden das Wasser ab.
14:56In der dadurch trocken gehaltenen Baugrube können die Ausschachtungsarbeiten und später
15:03das Einbringen der Tunnelwandung ungestört vor sich gehen.
15:06Die Spundwände, die in den Baugrund gerammt werden, haben eine Länge bis zu 18 Metern.
15:14Ihre Stärke wird durch statische Berechnungen genau festgelegt.
15:18Sie werden im Spreebett von schwimmenden Bühnen aus eingerammt.
15:38Der Bau der im Weidendamm ansteigenden Tunnelrampe auf dem südlichen Ufer musste ebenfalls ohne
15:55Beeinträchtigung des Straßenverkehrs durchgeführt werden.
15:58Auf behelfsmäßiger Straßendecke aus Holzbohlen wickelt sich der Straßenbahn, Fuhrwerks- und
16:06Fußgängerverkehr ab, während darunter die Erde ausgehoben wird.
16:10Immer deutlicher bildet sich nun aus dem Gewirr der Behelfsanlagen nach und nach im Schutze
16:17des Fangedamms der leicht geschwungene Bogen des künftigen Tunnels heraus.
16:22Endlich ist es soweit, die Pumpen stellen ihre Arbeit ein, das Wasser überspült den
16:41fertiggestellten Südabschnitt des Spreetunnels.
16:52Der durch einen Reiterfangedamm ergänzte Kopffangedamm wird als Abschluss der Baugrube
17:02für den nördlichen Bauabschnitt verwendet.
17:04Der gleiche Bauvorgang wiederholt sich, bis die Spree in ihrer vollen Breite untertunnelt
17:15ist und eine neue Brücke anstelle der Notbrücke den Verkehr aufnimmt.
17:20Auch die Unterfahrung des in besonders starkem Maße verkehrsbelasteten Bauabschnitts um
17:31den Bahnhof Friedrichstraße stellte die Bauleitung vor schwierige Bauaufgaben.
17:35Ein Kolk von Faulschlamm und Moor auf der Tunnelsohle zwang dazu, 340 Stück sogenannte
17:53Pressbetonpfähle von 8 bis 17 Metern Länge auf eine Gesamtfläche von 650 Quadratmetern in die
18:01Baugrube bis zum tragfähigen Untergrund einzubohren.
18:05Um bis zur Straße unter den Linden durchzustoßen, mussten im Zuge der neustädtischen Kirchstraße
18:13zahlreiche Häuser fallen.
18:14Sie werden später durch einen eindrucksvollen Neubau ersetzt werden.
18:18Die Linden werden bis hinab zum Brandenburger Tor in ihrer Lenksachse unterfahren, wo einst
18:27der Gleichschritt preußischer Garteregimenter dröhnte, türmt sich jetzt der Bauaushub zu
18:32hohen Wellen.
18:33Im Olympiajahr 1936 hofft man, den Nordteil der neuen Strecke bis zum Bahnhof unter den
18:40Linden dem Verkehr übergeben zu können.
18:42Auch vor dem Brandenburger Tor und in der Hermann-Göring-Straße ist man bereits eifrig
18:52bei den Ausschachtungsarbeiten.
18:53Später wird man unter dem Potsdamer Platz bis zum Anhalter Bahnhof vordringen.
19:04Hier ist schon bis zum Landwehrkanal hinunter ein Durchbruch geschaffen, der der ganzen
19:09Gegend ein neues Gesicht gibt.
19:11Am Landwehrkanal war zwischen Gleisdreieck und Möckernbrücke die Unterfahrung des südlichen
19:20Biederlagers der Hochbahn erforderlich.
19:22Nach behelfsmäßiger Abfangung der rund 84 Meter langen Fachwerkbrücke ist der Pfeiler
19:29abgetragen worden.
19:30Er wird später durch eine Rahmenkonstruktion ersetzt werden, die zum Teil auf der Tunneldecke
19:36ruht.
19:37Ungleich interessanter noch ist die Lösung, die über die Baustelle hinweg die Aufrechterhaltung
19:49der Wasserführung des Landwehrkanals sichert.
19:52Fünf Gusseiserne Rohre von je 32 Metern Länge tauchen beiderseits in das Wasser ein.
19:58Sie wirken als Heber und leiten durch Unterdruck das Wasser über die Baugrube, während innerhalb
20:09des Spundwand- und Fangedammsschutzes der Tunnelbau vor sich geht.
20:22So entsteht hier und an den übrigen Stellen aus wissenschaftlicher Planung, technischem
20:44Fortschritt und nicht zuletzt aus menschlicher Arbeitskraft das zurzeit größte Bauvorhaben
20:49der Reichshauptstadt.
20:51Vier Jahre Bauzeit sind vorgesehen.
20:53Etwa 11.000 Volksgenossen gibt der Bahnbau Arbeit und Brot.
20:57Er zählt zu den Taten, die über die Gegenwart hinaus den Willen zu deutscher Werkgemeinschaft
21:03und zu deutschem Wiederaufbau kundtun.

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