Erich Kästner - Das zersägte Motorrad (Wien, 1933)

  • vor 7 Jahren
Eine seltene Aufnahme von Erich Kästner. Sie wurde wahrscheinlich im März 1933 in Wien aufgenommen.
Er trägt sein Gedicht "Das zersägte Motorrad vor.

Erich Kästner -
Das zersägte Motorrad

Der Max hat täglich einen Tanz
mit seinem großen Bruder Franz,
weil dieser lange Goliat
ein herrliches Motorrad hat.

Das wäre schön und wäre gut
und wäre noch kein Grund zur Wut.
Doch Franz hat auch ein Fräulein Braut
und nächstens werden die getraut.

Max sagt zu Franz auf Schritt und Tritt,
nimm mich doch bitte einmal mit!
Franz nickt in solchen Fällen prompt,
bis dann die Braut dazwischen kommt.

Da fahren die dann fort
und der empörte Max schaut hinterher.
Er kann vor Ärger kaum noch sprechen
und denkt bei sich: "Ich muss mich rächen!"

Er will nicht stets der Dumme sein.
und endlich fällt ihm etwas ein.
Am nächsten Abend führt er es aus,
obwohl der Franz ist noch im Haus

Max schraubt und sägt mit Ruck und Stoß
den Beiwagen vom Rade los.
Doch macht er's so, dass jeder denkt,
dass beides noch zusammenhängt.

Dann stellt er, um was zu erleben,
sich sanft und unschuldsvoll daneben.
Er ist vergnügt, sein Herz schlägt laut,
Er freut sich so auf Franzens Braut

Er malt sich aus, was kommen muss.
den Anfang und nachher den Schluss
wenn Franzens Braut zur Abfahrt treibt,
und trotz der Abfahrt sitzen bleibt.

Da tritt Franz aus dem Haus und spricht:
"Max, meine Braut kommt heute nicht!
Weil sie, ich weiß nicht, was sie vorhat,
deshalb fährst Du mit mir Motorrad.

Max hat natürlich keine Lust,
doch denkt er: "Menschenskind, du musst!"
und setzt sich, ohne viel zu sagen,
in Franzens abgesägten Wagen.

Der Franz gibt Gas, der Krach ist groß,
Franz springt auf, die Fahrt geht los!
Schon gibt es aber einen Knacks
Der Franz fährt ab, doch ohne Max!

Dem ist es eine harte Lehre!
Was lernt er denn? Die Lehre wäre:
Wer anderen schadet, sich zu nützen,
bleibt oft, auch wenn er recht hat, sitzen.