Sieben junge Menschen teilen sich ihren Wohnraum auf unkonventionelle Weise. Individuelle Zimmer gibt es nicht, die Räume werden nach Funktionen aufgeteilt.
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NewsTranskript
00:00Es ist schon meistens so die Frage, gibt es einen Sex-Room?
00:03Könntest du dir vorstellen, mit sechs anderen Personen in einem Raum zu schlafen, kein eigenes
00:07Zimmer zu haben und deinen Kleiderschrank zu teilen?
00:09Wir sind heute zu Besuch in einer sogenannten bedürfnisorientierten WG in Wien.
00:13Follow me!
00:14Eva gibt mir eine Room-Tour.
00:16Gemeinsam mit sechs anderen jungen Menschen lebt die 23-Jährige hier und teilt sich mit
00:20ihnen sogar den Schlafraum.
00:21Eine selbstgebaute Hochbett-Konstruktion ermöglicht es, dass bei Bedarf auch mehr als die sechs
00:25MitbewohnerInnen im Schlafzimmer übernachten können.
00:27Manchmal schlafen wir alle in dem selben Moment und dann wird es ein bisschen wie eine Dschungel.
00:33So viele Plattformen, so viele Ebenen, wir können hier und da springen.
00:36Wie war es denn für dich, jetzt in diese Schlafsituation umzuwechseln?
00:40Die erste Nacht war tatsächlich so, dass ich noch so war, boah, irgendwie würde ich gerne
00:43in meinem eigenen Zimmer schlafen, weil es so gemütlich ist.
00:45Und das neue Zimmer war gerade noch Baustelle.
00:47Und dann bin ich hingegangen, aber habe gemerkt, wow, es ist doch sehr gemütlich da eigentlich.
00:52Und habe mich so sehr wohl gefühlt auch.
00:53Habe auch richtig gut geschlafen.
00:55Oropax auch mit oder ohne Oropax?
00:57Ohne Oropax.
00:58Ursprünglich war die WG nicht auf funktionales Wohnen ausgelegt.
01:01Erst im Juni 2024 haben die BewohnerInnen ihre Privatzimmer aufgelöst, sich zwei neue
01:05MitbewohnerInnen gesucht und sich gemeinschaftlich eingerichtet.
01:08Wir waren drei Wochen nach dieser Umstellung zu Besuch und kamen dann Monate später nochmal
01:12zu ihnen, um zu schauen, wie sich das Zusammenleben entwickelt hat und ob sie das Konzept noch
01:16immer leben.
01:17Dazu aber später mehr.
01:18In der Wohngemeinschaft hat nur eine Person noch ein eigenes Zimmer, alle anderen teilen
01:21sich die Räume.
01:22Diese sind nicht mehr nach Personen, sondern nach Funktionen aufgeteilt.
01:25Schlafen, Arbeiten, Gemeinschaft, Essen.
01:27Solche Wohnformen werden oft als funktionale WGs bezeichnet, doch die Wiener WG bevorzugt
01:31den Begriff bedürfnisorientiert.
01:33Wie sieht es mit den Bedürfnissen aus, die man nicht vor den sechs anderen Roomies befriedigen
01:37möchte?
01:38Dafür gibt es die Suite Suite, einen Raum für Sex, Intimität, Privatsphäre und Arbeitscalls.
01:55Wie war es für dich, dass dein altes Zimmer jetzt die Suite Suite ist?
02:12Wie war da für dich die Umstellung, jetzt irgendwie einen Raum dafür dedicated zu haben?
02:16Ich habe es irgendwie gern dafür hergegeben.
02:18Ich war selber auch gern dort, aber irgendwie habe ich jetzt viel mehr Platz auch, weil
02:23einfach das Wohnzimmer viel mehr verfügbar ist für mich.
02:25Ich denke, das ist der erste Ort, den ich besuche, wenn ich nach Hause komme.
02:28Und dann sehe ich, was die Leute da tun.
02:30Gestern kam ich spät abends nach Hause und dann ging ich hierher und da waren 15 Leute
02:34sitzen und haben Abendessen und spielten Musik.
02:37Und ich dachte, ich träume gar nicht davon, diese Leben in dieser Gemeinschaft zu haben.
02:43An der Küchentür hängt ein Zettel mit Hausregeln für GästInnen.
02:46Wir kochen hier kein Fleisch und wenn ihr etwas Fleischrelevantes essen möchtet, dann
02:49vielleicht nicht unseren Cutlery oder Crockery benutzen.
02:52Die meisten unserer Füße kommen aus Foodsharing oder Dumpsters aus dem Sozialmarkt.
02:57Direkt an die Küche grenzt das große Badezimmer mit Waschmaschine und Dusche.
03:00Hier wird besonders deutlich, wie viel Besuch die WG regelmäßig im Feld.
03:03Das ist eine sehr beeindruckende Zahnbürste-Kollektion.
03:06Ah, das sind alle unsere Gäste.
03:09Echt?
03:10Alle?
03:11Nur für die Gäste?
03:12Ja, auch diese.
03:13Ich denke, auch für die Gäste.
03:15Letzte Woche hatten wir 14 Leute, die zu Hause schlafen.
03:18Eine gewisse Unsicherheit war bei mir auch da mit dem, okay, wie finden das jetzt die
03:23anderen Leute.
03:24Wie finden das meine ArbeitskollegInnen, meine Studien-Friends?
03:28Da waren die Reaktionen eigentlich fast immer sehr gut und vor allem auch sehr interessiert.
03:33Die Warmiete der Wohnung beträgt etwa 1.800 Euro pro Monat.
03:37Für gemeinsame Lebensmittel planen die MitbewohnerInnen monatlich rund 200 Euro ein.
03:41Die Aufteilung der Wohn- und Lebenskosten erfolgt flexibel.
03:44Wer in einem Monat mehr Geld zur Verfügung hat, übernimmt einen größeren Anteil.
03:47Wenn es bei jemandem knapp wird, kann die Miete entsprechend reduziert werden.
03:50Über Telegram und WG-Sitzungen wird das WG-Leben organisiert und emotional bei den MitbewohnerInnen
03:55eingecheckt.
03:56Eva und Dani erzählen mir, dass sie bisher durch die WG-Umstellung nicht das Gefühl
03:59hatten, zu wenig Zeit und Raum für sich zu haben.
04:01Es ist halt einfach für uns finanziell auch sehr schwierig, leistbar so viel Wohnraum
04:07zu haben.
04:08Ihr teilt euch ja auch einige Sachen.
04:09Stehst du dann in der Früh auf, gehst hier hin und bist so, ach, ich hab jetzt irgendwie
04:13Bock auf grün, whatever und dann schaust du einfach, was da ist und ziehst es an?
04:17Das ist irgendwie gerade so diese Kennenlernphase mit dem ganzen neuen System.
04:20Oft gehe ich dann doch zu Dingen, die ich schon kenne von mir selber und bin so, okay,
04:24das nehme ich mir jetzt.
04:25Gar nicht so leicht, so abzuschätzen, wie groß und klein Dinge sind.
04:28War das für dich denn so ein befreiendes Gefühl, auch deine Kleidung mit in das Konklumarat
04:32quasi dazuzugeben oder war es so ein bisschen so, du verlierst irgendwie was von deinen
04:36Dingen?
04:37Es war so ein bisschen die Angst am Anfang, was ist jetzt, wenn ich eigentlich gern was
04:41anziehen will und das zieht jetzt wer andere an, wenn irgendwer meine Sachen anzieht oder
04:46wohin mitnimmt und dann Liegen lasst, verliert, vergisst.
04:49Ich habe einfach auch den Standpunkt, dass es jetzt nicht die Lebensweise ist, die für
04:53jede Person irgendwie gut ist.
04:55Das muss jede Person selber entscheiden.
04:57Ich probiere das jetzt aus und das ist so meine Entscheidung.
05:00Ich mache das gerne und wenn ich merke, wie gut es mir tut, ich tue damit niemand weh.
05:05Es ist ein halbes Jahr später und ich bin zurück hier in der WG und möchte wissen,
05:08wie es den Mitbewohnern geht.
05:10Gab es Streit?
05:11Gab es Konflikt?
05:12Wohnen sie noch funktional zusammen?
05:14Wir finden es raus.
05:15Man sieht es an deinen Haaren und eurer Kleidung, jetzt ist es schon Winter geworden und kälter
05:18geworden.
05:19Wie geht es euch denn?
05:20Ich bin gerade wenig da tatsächlich, weil meine Mama sehr schwer krank ist, aber es
05:25ist dafür auch immer wieder umso besonderer, hier zu sein.
05:29Wir haben irgendwie so eine gemeinsame Vision von Zusammenleben und das fühlt sich dann
05:33wieder sehr gut an und dann ist auch das Chaos ein bisschen weniger schlimm.
05:36Wir haben eigentlich eine Revolution in unserem Köln-Schedule.
05:38Wir hatten früher einen Plan und jeder war für eine Sache verantwortlich, für zwei
05:43und dann haben wir es geändert.
05:44Und jetzt ist es eher wie eine Anarchie, wenn du siehst, dass etwas nicht richtig ist,
05:49dann tust du es.
05:50Es ist wie so ein sehr sicherer Platz für so Lernen, wie man gut mit Konflikten umgehen
05:57kann.
05:58Ich gehe jetzt auch wieder in Therapie, da kann ich auch super an so Themen arbeiten
06:01und diese Situationen mitnehmen.
06:02Es ist cool, sich immer wieder davon abzulassen, dass etwas meins ist.
06:06Das ist mein Zimmer, das ist mein Pullover und das ist meine Area of Responsibility und
06:11wenn ich von dem ausgehen kann, in Richtung Expansion und Kollektivität, bringt es mir
06:15so viel Entspannung.
06:16Wenn jemand um mich herum Freude fühlt, ist es auch meine Freude.
06:20Wenn ich Schmerzen fühle, muss ich es nicht alleine tragen.
06:23Ich habe gerade nur meine Sachen an, beziehungsweise dieser Pullover gehört uns eigentlich allen.
06:28Das ist Danis.
06:29Das ist von Georgia.
06:30Damit schätze ich meine eigenen Sachen dann noch mal mehr, wenn ich sie auch so an anderen
06:34Personen ziehe.
06:35Das ist von Nash.
06:36Das ist von Jojo.
06:37Und die Socken sind meine.
06:38Auch die Unterhose.
06:40Auch die Unterhose.
06:41Ich denke, ich werde nie wieder nicht funktionell und mit vielen Leuten leben können.
06:46Das ist mein Standard jetzt.
06:47Wenn immer alles nur seinen Platz hat für eine lange Zeit, dann vergisst man irgendwann,
06:51dass die Dinge existieren, glaube ich.
06:52Aber es gibt Momente, wo das dann natürlich auch besser zu meiner Stimmung passt.
06:57Dann bin ich vielleicht bei einer Person auf Besuch und die hat eine wunderschöne Einzelpersonenwohnung
07:03und das ist super gemütlich und ich bin so, wow, das ist ein Traum.
07:08Das bedürfnisorientierte Zusammenleben ist immer neu, immer eine Überraschung, immer
07:12eine neue Energie, die reinkommt.
07:14Ich bin ein Mensch, der das auch braucht irgendwie.
07:17Das hält mich lebendig.
07:18Es passiert mir schon, dass ich schnell in Muster reinfalle, die sich anfühlen, wie
07:22wenn es immer wieder das Gleiche ist.
07:24Das passiert hier einfach nicht.
07:25Und das sind auch die Menschen, mit denen ich wohne und der Ort, den wir gemeinsam kreiert haben.