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Christian Streich ist seit dem Sommer nicht mehr als Trainer aktiv, hat aber immer noch eine fundierte Meinung zum aktuellen Geschehen. Im exklusiven Interview mit dem kicker äußert er sich zu diversen Themen.

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Sport
Transkript
00:00Herr Streich, Sie sind heute zu Gast beim Kicker. Sie haben sich den Kicker, die Gebäude
00:07angeschaut und mit der Redaktion gesprochen. Sie hatten ein sehr bemerkenswertes Interview
00:13im Kicker, als Sie aufgehört haben beim SC Freiburg und erzählt, dass Sie das Leben
00:16ja im Sinn auch von Reisen genießen wollen und endlich mal was anderes machen, als in
00:21diesem Fußballstress drin zu sein. Wie haben Sie denn diese freie Zeit bisher genossen?
00:26Also erstmal war es sehr, sehr interessant, hier ihr Gebäude anzuschauen, das Sie mir
00:34und meiner Frau gezeigt haben. Beeindruckend. Ich kenne viele der Bilder in der Historie
00:41des deutschen Fußballs, habe ich auch schon gekannt, andere nicht. Es ist schön,
00:46ich bin das erste Mal in Nürnberg in der Stadt. Ich war schon 50 Mal hier,
00:50aber immer im Hotel, um dann zu Spielen zu gehen gegen Fürth und gegen Nürnberg.
00:55Ich habe eine schöne Reise gemacht mit dem Fahrrad, mit einem Freund. Ich bin nach Bilbao
01:02gefahren, durch Frankreich. Es war total schön, weil an vielen Orten war ich noch nie. Dann kam
01:11der Alltag, dann war die Struktur weg, die ich seit 30 Jahren hatte, Montag bis Samstag. Dann
01:19wird es anders. Aber genau das wollte ich auch, dass ich mich mal wieder anders orientiere und
01:27mich mit mir auseinandersetze und schaue, was ich für den Rest meines Lebens oder für die
01:33nächste Zeit gerne machen will. Wenn ich jetzt mal voraussetze,
01:40ein Stück weit merken Sie schon, es ist was anderes, es fehlt was. Was fehlt denn mir?
01:44So die tägliche Arbeit mit den Jungs auf dem Trainingsplatz oder spüren Sie,
01:48Samstag nachmittags um 15.30 Uhr ist ein Kick weg?
01:50Nein, es ist weniger um 15.30 Uhr. Es ist mehr die tägliche Arbeit und auch die Gespräche. Es
01:58ist ganz viel einfach jetzt weg gewesen. Das ist die Realität. Ich bin nicht mehr bei den Jungs.
02:05Ich halte mich auch weg von ihnen jetzt, weil ich habe dort jetzt einfach nichts zu suchen.
02:11Die müssen sich jetzt neu orientieren, was sie überragend machen. Ich gehe jetzt auch
02:16nicht mehr ins Stadion im Moment, weil die Fokussierung soll total auf den Spieler und
02:20auf die Mannschaft liegen und nicht auf mich. Aber die Struktur, von Montag bis Sonntag zu
02:29wissen, wo man hingeht, man muss sich keine Gedanken machen. Und jetzt muss man sich
02:34selber organisieren. Man war sozusagen durchorganisiert schon von außen vorgegeben.
02:40Das ist die Realität. Und das habe ich 30 Jahre gemacht. Und jetzt lerne ich neue Dinge und muss
02:49mich damit auseinandersetzen, was nicht immer einfach ist, was neu ist, aber was auch sehr
02:54spannend ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie ein großes Vertrauen gesetzt haben in Ihre
02:59Nachfolger beim SC Freiburg, weil Sie die ja alle kennen. Und ich kann mir auch gut vorstellen,
03:04dass Sie im Moment das mit Freude sehen, wie sich das anlässt. Sehe ich das jetzt zu romantisch,
03:12zu naiv, zu positiv? Oder ist es wirklich so, dass Sie sagen, es läuft richtig gut und darüber freue
03:16ich mich? Also mit der Entscheidung, dass ich jetzt nicht mehr weitermachen wollte beim SC,
03:26weil auch eine gewisse Energie, die ich von mir erwarte, nicht mehr in dem Maße da war. Das ist
03:32normal nach so langer Zeit. Da war ich ganz, ganz fest davon überzeugt, weil ich eben die Leute
03:38kenne, Julian Schuster kenne, neue Trainer sind dazugekommen, alte sind dableiben, die bei mir
03:43hervorragend sind. Ich kenne den ganzen Verein in- und auswendig. Ich war fest davon überzeugt,
03:50dass es erfolgreich sein wird. Man weiß nicht, ob man mal zwei Spiele verliert am Anfang und dann
03:55wird es schwieriger kurzfristig. Aber dass das eine hervorragende Lösung ist, dass neue Sachen
04:04reinkommen, neue Innovationen reinkommen, ein bisschen was verändert wird. Die Grundstrukturen
04:09bleiben gleich. Das habe ich gewusst. Ich kenne Julian, er war Kapitän lange bei uns. Ich kenne
04:14ihn lange, er war Verbindungstrainer. Er hat sehr gute Leute dazugeholt. Er war immer bei uns im
04:20Trainerbüro, bei der zweiten Mannschaft, bei der Jugend jetzt über Jahre. Für mich ist das
04:26überhaupt keine Überraschung, dass das nahtlos weitergeht. Und darüber freuen wir uns sehr und
04:34darüber freue ich mich auch, dass ich rechtzeitig im richtigen Moment gesagt habe, jetzt soll es
04:41etwas Neues geben, weil das Neue, das ich weiss, das wird konstruktiv und positiv sein. Da war ich
04:50überzeugt davon. Da bin ich sehr froh, dass das so entschieden wurde. Sie haben von Energie gesprochen,
04:58die man natürlich auch lässt, wenn man so viele Jahre so intensiv arbeitet wie Sie. Ein großes
05:02Thema seit Wochen ist ja das Thema Belastung für die Spieler. Ja. Es gibt aktuell neue Studien,
05:07dass diese Verletzungen zugenommen haben und so weiter. Sie mit Ihrer großen Erfahrung. Sehen Sie
05:13das auch so, dass die Spieler mal die Stimme erheben müssen und sagen Stopp oder ist es doch
05:16eine Luxusdebatte? Es ist keine Luxusdebatte. Spieler, die Nationalspieler sind, Champions League,
05:22Europapokalspiele, Pokal, Meisterschaft und in England noch andere Wettbewerbe. Es ist zu viel
05:29für viele Spieler und die Statistik überlegt es ja dann einfach auch. Das ist mental und physisch
05:39zu viel und es ist nicht zu rechtfertigen, dass man sagt, das ist doch kein Problem, die verdienen
05:44so viel Geld. Das stimmt nicht, weil ein Mensch hat nur ein gewisses Maß an Möglichkeiten,
05:51die er gestalten kann. Es ist zu viel, aber es wird sehr schwierig, das Rad zurückzudrehen,
06:00weil alle wollen ein Stück vom Kuchen abhaben. Aber nur über die Spieler geht, dass sie
06:09zusammenstehen und an gewisser Stelle sagen, wir kommen mit den und denen Vorschlägen und dann
06:15müssen Vereine und auch die Spieler mal auf gewisses Geld verzichten. Aber es ist ja genug da,
06:21von dem her werden sie nicht arm. Aber die Kritik ist berechtigt, nur dann müssen sie sich organisieren.
06:26Trainer und Spieler wohl auch. Also Trainer auch als Spieler. Ja und in Vertretung auftreten und
06:32sagen, jetzt sind Grenzen erreicht. Haben Sie die Hoffnung, dass auch da noch mal gehört würde,
06:39weil die Stimmen gibt es ja schon länger, dass man mal die Trainer anhört, dass man die Spieler
06:43anhört, aber die Verbände tun es nicht. Haben Sie die Hoffnung, dass sich da was wandelt,
06:47weil einfach die Argumente immer besser und lauter werden? Ja, ich glaube, es geht nur über eine,
06:51das Problem ist, die Trainer sind sehr, sehr im Tagesgeschäft. Du bist die ganze Zeit nur am
07:00Schauen fürs nächste Spiel. Wir haben jetzt den Europapokal gespielt die letzten Jahre und dann
07:04ist Sonntag, Donnerstag, Sonntag, Donnerstag. Und dann Potenzial zu haben und Kraftorganisationen
07:10herzustellen, damit du dann auch mit einer geeinten Stimme auftreten kannst, weil nicht
07:15alle Trainer haben die gleiche Meinung oder alle Vereine. Das ist ja auch nochmal, Trainer sieht es
07:19anders als vielleicht der Sportdirektor oder der Präsident oder die Aufsichtsräte. Von dem her ist
07:26es nicht einfach das zu organisieren, aber es geht nur über ein organisiertes Auftreten, damit du dann
07:33auch eine Kraft entwickeln kannst, um deine Meinung zu äußern. Zum Abschluss noch die Frage nach der
07:40Champions-League-Reform, Europa-Pokal-Reform. Es betrifft ja alle drei Wettbewerbe. Wie empfinden
07:45Sie das und wie sehen Sie im Moment auch die Performance, um es mal neudeutsch auszusprechen,
07:50der deutschen Mannschaft? Wir haben eine sehr bewegte Woche hinter uns mit den Spielen von
07:53Dortmund, Stuttgart, den Positiven und auch von den Bayern. Wie sehen Sie das? Die Reform,
07:58es gibt immer wieder neue Ideen. Wahrscheinlich ist es auch gut, dass dann immer wieder auch mal
08:05etwas Neues kommt, dass etwas ausprobiert wird. Videobeweis auch, weil ich Videobeweis eher nicht.
08:12Jetzt sage ich, wenn es gerechter wird dadurch, dann ist es okay, muss ich ganz ehrlich zugeben.
08:18Also von dem her okay, ausprobieren, hinschauen, ob es gut ist. Ich habe Bayern gesehen, ich habe
08:27Dortmund gesehen. Ich denke nicht so kurzfristig. Es ist immer so, die deutschen Mannschaften haben
08:33mal ein Jahr, dann schafft es nur einer ins Viertelfinale, ins Halbfinale. Vorher scheidet
08:38sie aus, dann heißt es, der deutsche Fußball geht runter. Im nächsten Jahr kommen drei ins
08:43Halbfinale, dann heißt es, alles ist wunderbar. Ich habe ein hochinteressantes Spiel gesehen mit
08:50Barcelona gegen Bayern, weil es so erfrischend war. Es war so offensiv ausgerichtet und es war
08:58so ein bisschen mit offenem Visier. Wann sieht man so ein Spiel auf diesem Niveau, wo so viel
09:05Risiko gegangen wird. Das fand ich toll und nach vorne gedacht wird. Das Spiel ist 4-1 ausgegangen
09:14für Barcelona. Ich habe nach 25 Minuten gedacht, oh, das könnte auch 4-1 ausgehen für Bayern,
09:19wenn ich ehrlich sein soll, bevor es 2-1 kam. Weil da hatte Bayern alles im Griff und Barcelona
09:25stand sehr hoch und hat auf Risiko gespielt, aber Bayern auch. Das fand ich sehr erfrischend auch.
09:31Deinen Kollegen Kompagnie würde er sehr freuen, was sie da sagen.
09:34Ja, wissen Sie, es geht nicht, dass man immer sagt, es soll erfrischend gespielt werden,
09:42es soll mutig gespielt werden. Und dann, wenn es so gespielt wird, heißt es, warum spielen die nicht
09:495-3-2, warum spielen die nicht 5-4-1. Man weiß doch, Barcelona ist offensiv so gut. Dieses Spiel
09:55war so. Wenn Bayern es 2-1 schießt, kann es aus meiner Sicht genau das Ergebnis andersrum sein,
10:04weil einfach beide Mannschaften dieses Risiko genommen haben und Bayern ist ein Tor aberkannt
10:12worden. Das 2-1 kann man faul geben. Es ist so eng beieinander, aber ich fand es einfach ein wahnsinnig
10:17erfrischendes Spiel von zwei Trainern, die enorm mutig sind und ihrer Mannschaft das offensive
10:25Spiel verschreiben und sagen, lass sie von der Leine. Prima, ich hoffe, Sie können sich noch an
10:30vielen erfrischenden Spielen erfreuen, neben der Freizeit, die Sie gewonnen haben. Vielen Dank.

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