50 Jahre Tagesschau - 2002 - by ARTBLOOD

  • vor 10 Jahren
50 Jahre Tagesschau - Die tägliche Andacht der Deutschen

Auch nach 50 Jahren hat die Tagesschau eine überragende Bedeutung im Seelenhaushalt der Zuschauer, die sie unter allen Nachrichtensendungen einzigartig macht: In einer immer unübersichtlicheren und zersplitterten Welt der globalen Multioptions-, Wirtschafts- und Spaßgesellschaft gibt sie durch ihre strenge Form und ihren Verzicht auf modische Anpassungen an den Zeitgeist den Zuschauern Fassung und Halt im Alltag.

Mit ihrer inzwischen 50-jährigen Geschichte ist die Tagesschau in ihrer psychologischen Wirkung zur einzigen dauerhaften und für die Deutschen unverzichtbaren Instanz der "Gefühlsapotheke Fernsehen" geworden: Jeden Abend um
20 Uhr versammelt sich die Nation zu einem semi-religiösen Ritual der Selbst-Vergewisserung, in dem trotz aller aktuellen Wendungen des Tagesgeschehens die Normalität des Alltags beschworen wird.
Die Tagesschau ist nicht nur das Fieberthermometer für den Zustand der Welt, sondern in ihrer psychologischen Wirkung auch gleichzeitig ein bewährtes und habituell verankertes Therapeutikum gegen das Gefühl, hilflos bedrohlichen Entwicklungen ausgeliefert zu sein.

Die zentralen psychologischen Züge der Tagesschau

Sechs zentrale psychologische Züge prägen die Rezeption der ältesten deutschen Nachrichtensendung, die am 26. Dezember 1952 zum ersten Mal als Regelsendung ausgestrahlt wurde: Die Tagesschau prägt den Biorhythmus der Zuschauer, schafft ein übergreifendes gesellschaftliches Gemeinschaftsgefühl, orientiert als Richtungsweiser im Weltgeschehen, ist ein Spiegel des eigenes Zuschauer-Tages, kanalisiert wechselhafte Stimmungen in einem Beruhigungsritual und fungiert als seelisch stärkender Gesinnungs-TÜV.
Diese Funktionen erfüllt sie auch für jüngere Zuschauer, die allerdings vor allem mit Soap-Operas nach ähnlichen seelischen Bedeutungen suchen: Mit zunehmendem Alter wenden sie sich dem seit zwei Generationen bewährten allabendlichen Ritual der Tagesschau zu.